Philipp Gravenbach im Gespräch mit Peter Roth
Peter Roth: Bourbon oder Single Malt?
Philipp Gravenbach: Wenn ich ehrlich sein darf: Gin.
Roth: Haben wir nicht.
Gravenbach: Dann von mir aus Single Malt.
Roth: Ernsthaft?! Es ist gerade mal vierzehn Uhr …
Gravenbach: Ich wollte ja auch nur ein Interview geben, Sie haben damit angefangen!
Roth: Single Malt also. Gerne. Man muss erst einmal eine Gesprächsbasis schaffen, bevor man direkt ins Interview gehen kann.
Gravenbach: Um seinen Gesprächspartner abzuklopfen?
Roth: Naja, es ist nicht einfach, Sie als Person gedanklich zu fassen zu bekommen – ich meine: Die Charaktere in Ihren Büchern: Eigene Stimme, eigene Gefühlswelt, eigene Wahrnehmung – ich hätte erwartet, dass man den Autor doch zumindest ein Bisschen durchspürt. So, wie Sie das betreiben, ist es beinahe ein wenig schizophren, oder?
Gravenbach: Also erstens versuche ich genau das zu vermeiden, weil ja nicht ICH als Autor eine Geschichte erzähle, sondern meine Figuren das für mich übernehmen sollen. Zweitens würde das auch überhaupt nicht funktionieren, weil die Menschen in meinen Büchern für mich mittlerweile vollkommen eigenständige Persönlichkeiten sind. In gewisser Weise sind sie sehr real für mich.
Roth: Sage ich doch: schizophren.
Gravenbach: Wenn schon, dann wäre es eine gespaltene, beziehungsweise multiple Persönlichkeitsstörung, das hat mit Schizophrenie aber schon gar nichts zu tun!
Roth: Sind Sie eigentlich sehr einsam?
Gravenbach: What the …?! Nein, bin ich nicht. Abgesehen davon gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen Einsamkeit, und Alleinsein. Aber ja, da haben Sie schon Recht, als Schriftsteller ist man oft sehr alleine, das bringt der Beruf mit sich. Auf der anderen Seite ist er auch unglaublich viel mit Interaktion verbunden – den Austausch mit meinen Leserinnen und Lesern genieße ich sehr. Das hat etwas Beflügelndes.
Roth: Also brauchten Sie nicht Ihre imaginierten Freunde, weil Sie im echten Leben keine haben, und hatten deshalb mit dem Schreiben angefangen?
Gravenbach: Pfh! Aber in meiner Kindheit war das tatsächlich ein Thema: Zwar nicht, weil ich keine Freunde gehabt hätte, aber weil ich mir Zufluchtsorte vor meinem realen Umfeld schaffen musste. Am wohlsten habe ich mich mich immer mit unseren Hunden in ihrer Hütte gefühlt. Wenn ich dann auch noch ein Buch dabei hatte, mit dem ich vollkommen in einer anderen Welt versinken konnte, war der Tag ein guter. Die Welten hinter den Worten, hinter den Buchstaben, das war immer so etwas wie ein sicherer Hafen für mich.
Roth: Hm. Klingt irgendwie traurig.
Gravenbach: War es teilweise auch. Aber ich hatte das damals noch nicht so empfunden. Für mich war es einfach das schönste Gefühl auf der ganzen Welt, nur in meiner Phantasie existieren zu können – jeder, der schon einmal selbst auf dem Rücken eines Drachen im Tiefflug über Midgard geritten ist, wird mich verstehen.
Ich denke, das war es letztlich auch, was mich zum Schreiben gebracht hat: Ich wollte für andere Menschen auch solche Universen erschaffen, ihnen die Möglichkeit schenken, in eine völlig neue Welt abzutauchen. Diese Welt kann spannend, gefährlich, extrem verängstigend oder düster und bedrohlich sein, aber dennoch befindet man sich immer in Sicherheit, denn sie existiert ja nur in einem selbst, und nicht um einen herum. Vielleicht helfen solche fiktiven Welten ja nicht nur mir, sondern auch meinen Leserinnen und Lesern, mit ihren eigenen Ängsten und Sorgen ein wenig besser klarzukommen, oder können sie zumindest davon ablenken.
Roth: Wollten Sie denn immer schon Schreiben?
Gravenbach: Nein, ich glaube nicht. Was ich wollte, war Geschichten erzählen. Dass ich das dann mit dem geschriebenen Wort mache, hat sich erst im Lauf der Jahre entwickelt. Aber ich würde auch sehr gerne mal eine Serie gestalten.
Roth: Streaming?
Gravenbach: Ja, auf jeden Fall! Die Möglichkeiten dieses Mediums sind einfach enorm! Ich fürchte leider, dafür bräuchte ich mehr Glück, als Fortuna für mich vorgesehen hat.
Roth: Ist das eigentlich nur eine Attitüde von Ihnen, dass Sie sich immer in vorauseilendem Gehorsam klein machen, oder glauben Sie das alles wirklich?
Gravenbach: Ein kleiner Teil von mir würde Ihnen jetzt am liebsten eine reinhauen, aber nur, weil Sie leider einen wunden Punkt getroffen haben: Ich tue mir tatsächlich sehr schwer damit, mich nicht immer gleich vorab für alles rechtfertigen zu wollen. Am Schlimmsten ist es, wenn ich mal bei etwas Glück gehabt habe und eine Sache gut läuft. Dann warte ich geradezu auf den Vorschlaghammer, den das Leben mir reinzimmern will, weil ich so viel Schönes ja gar nicht verdient habe – mittlerweile ist es zwar schon deutlich besser geworden, aber ich glaube, ich habe einige Therapeuten inzwischen ziemlich wohlhabend gemacht.
Roth: Danke für die ehrliche Antwort.
Gravenbach: Gerne. Unehrlichkeit liegt mir überhaupt nicht.
Roth: Woher kommen also die Ideen für Ihre Geschichten? Das wird zwar jeder Autor im Lauf eines Interviews irgendwann gefragt, aber diesmal interessiert mich die Antwort ausnahmsweise wirklich. Ihre Stories sind nämlich ein wenig … Naja, ich sage jetzt mal: unkonventionell.
Gravenbach: Wäre ja auch schlimm, wenn nicht! Nein, im Ernst: Es sind bei mir immer zunächst ganz abstrakte Themen, Konflikte im menschlichen Zusammensein, die mich beschäftigen, die dann in meinem Unterbewusstsein vor sich hin arbeiten. Liebe, Schuld, Loyalität, Gerechtigkeit – solche Dinge. Eigentlich Klassiker der Philosophie. Irgendwann stolpere ich dann zum Beispiel über einen Zeitungsartikel, wie es bei „Der 8. Kreis“ der Fall war, wo es um verschollenes Giftgas im Syrien-Krieg geht. Anschließend beginnt das alles in mir zu brodeln, und irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem ich ein ungefähres Gerüst von der Handlung beisammen habe. Dann werfe ich meine Charaktere hinein, beobachte gespannt, was passiert, und schreibe es auf.
Roth: Das war jetzt das übliche „BlaBla“, das man immer hört. Wollen wir’s nochmal versuchen?
Gravenbach: Es ist eine Form von Magie.
Roth: Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Nächste Frage: Kann man gutes Schreiben lernen?
Gravenbach: Man kann es zumindest üben – sollten Sie mal probieren.
Roth: Ich habe nicht die Geduld dafür – deswegen bin ich ja auch Journalist.
Gravenbach: Geduld oder Talent?
Roth: Ist das nicht ein vollkommen abgehobener „Genius“-Gedanke, mit dem Talent?
Gravenbach: Naja, es schadet zumindest nicht. Aber Sie haben Recht, Geduld ist sicher eine der wichtigsten Eigenschaften, die man mitbringen sollte. Am Ende ist es ein Handwerk, das man erlernen muss, und dann üben, üben, üben, man darf nie damit aufhören, immer besser werden zu wollen. Und man braucht auch eine Menge Glück. Hemingway hat etwas in diesem Zusammenhang sehr Schönes gesagt: „Schreibe den perfekten Satz. Und dann noch einen.“ Da steckt nämlich auf der Meta-Ebene so viel Wahres drin, weil …
Roth: Jaja, schon klar: Ein hübscher Widerspruch, weil zwei perfekte Sätze nicht gleichzeitig existieren können, und er das permanente Streben zum Ausdruck bringen wollte, nicht selbstzufrieden und träge in seinem Schaffen zu werden.
Gravenbach: Soll ich Ihnen jetzt ein Mitarbeits-Plus geben?
Roth: Immer besser werden zu wollen, nie endgültig zufrieden zu sein – also eine Reise, die niemals endet? Klingt für mich nicht sonderlich erstrebenswert.
Gravenbach: Im Gegenteil! Jede Form von Stillstand langweilt uns extrem schnell. Was uns Menschen interessiert, ist Bewegung – alles im Universum ist physikalisch gesehen permanent in Bewegung, und muss auch immer in Bewegung bleiben. Genauso ist es bei guten Geschichten: Weder die äußere Reise, also die Handlung, noch die innere Reise, also die Entwicklung der Protagonisten, dürfen jemals zum Stillstand kommen, weil sonst wird es langweilig. Solange wir in Bewegung bleiben, sind wir noch nicht tot.
Roth: Hah! Cheers to that! Ich freue mich auf das nächste Interview mit Ihnen!
Gravenbach: Danke. Ich mich erstaunlicher Weise auch.